Wie kann man Lehrer noch besser machen und welchen Mehrwert bietet Digitalisierung für die Hochschulen? Im Deutschlandfunk spricht Prof. Dr. Sönke Knutzen, Vizepräsident Lehre der TUHH und Institutsleiter des ITBH, mit Jürgen Handke über die Aufgabe der Hochschulen in Zeiten der Digitalisierung.
Jürgen Handke: Wir sind also bereits seit vielen Jahren als Lehrende von der Bühne des Wissens herabgestiegen und zu Lernbegleitern geworden. Wir nutzen Lehrvideos und digitale, multimediale Elemente zur Inhaltsvermittlung. Wir haben fast 60.000 Abonnenten in unserem eigenen linguistischen YouTube-Kanal. Wir bieten offene Onlinekurse, sogenannte „MOOCs“, Massive Open Online Courses für fast 10.000 Teilnehmer rund um die Uhr an, und wir haben eine hohe internationale Präsenz. Auch das sind die neuen Möglichkeiten der digitalen Lehre. Mittlerweile ist unser Inverted-Classroom-Modell so weit gediehen, dass wir für ein hohes Maß an Individualisierung sorgen können, diverse digitale Kursformate anbieten, so weit wie möglich elektronisch prüfen und in allen Phasen, übrigens auch bei den Prüfungen, die Internetnutzung zulassen. Also sollte man doch denken, dass sich alle Hochschulen gierig auf ein solches Erfolgsmodell stürzen. Müsste es nicht selbstverständlich sein, dass alle Hochschulen diese Art von Lehre in dieser oder ähnlicher Form übernehmen. Fragen wir doch jemanden, der so wie ich bundesweit unterwegs ist und Hochschulen bei der Digitalisierung berät. Professor Sönke Knutzen, Vizepräsident Lehre an der technischen Universität Hamburg-Harburg. Herr Knutzen, was treibt Sie um, nicht nur an der eigenen Hochschule die Digitalisierung der Lehre voranzutreiben, sondern sich dafür einzusetzen, dass diese Entwicklung möglichst schnell in die Fläche geht?
Sönke Knutzen: Der eine Grund ist sicherlich das, was uns beide bewegt, nämlich, wie kann man Lehre noch besser machen. Da hat sich ja in Deutschland jetzt in den letzten zehn Jahren, 15 Jahren, extrem viel getan. Und Digitalisierung ist da natürlich ein ganz hervorragendes Werkzeug, mit dem man Dinge verändern kann. Auf der anderen Seite müssen wir natürlich aber auch gucken, dass wir als Hochschulen die Studierenden fit für die Zukunft machen. Wir erleben Digitalisierung ja nicht nur als Möglichkeit, sondern auch als extremen Treiber, der viele Dinge verändert, also Berufe verändert, Beschäftigung verändert, Qualifizierung und vieles andere mehr. Und wir müssen natürlich gucken, dass wir Digitalisierung auch so einsetzen, dass wir die Studierenden so fit machen, dass sie in Zukunft eben die digitalen Kompetenzen haben, die sie brauchen.
„Das Suchen, das Finden und das Bewerten von Informationen“
Handke: Was heißt das, digitale Kompetenzen? Und gilt das denn nur für die Studierenden? Müssen wir da nicht die Lehrenden auch irgendwie mit einbeziehen? Denn aus meiner Sicht gibt es da auch Nachholbedarf in den digitalen Kompetenzen.
Knutzen: Absolut. Das gilt nicht nur für die Studierenden, das gilt auch für alle Lehrenden, und auch nicht nur für die Hochschule, sondern auch für die Schule. Was sind digitale Kompetenzen? Es gibt unterschiedliche Modelle. Die Kultusministerkonferenz hat vor zwei Jahren ein Modell vorgelegt, mit dem man viel anfangen kann. Da sind mehrere genannt, mehrere Teilbereiche. Ich will mal vielleicht die für mich wichtigsten nennen. Das ist zum einen das, was man unter Data Literacy versteht, also eigentlich das Suchen, das Finden und das Bewerten von Informationen im Internet. Vieles, was man findet, ist eben auch nicht richtig. Das erleben wir ja gerade in der politischen Diskussion auch ganz extrem, das wäre eben das eine. Das andere ist die effektive Kommunikation und Kooperation. Da bieten die digitalen Möglichkeiten natürlich noch mal ganz andere Welten, wie man zusammenarbeiten kann. Und sicher agieren, für etwas, was wir gerade für Facebook noch mal gelernt haben, man muss auf Daten aufpassen, und man muss sicher agieren können. Das wären vielleicht drei sehr wichtige Kompetenzen, die man im digitalen Zeitalter unbedingt braucht.
Handke: Welche Mehrwerte sehen Sie für Ihre Hochschule sowie für die Hochschulen ganz allgemein, wenn Sie Ihre Lehre digitalisieren?
Knutzen: Erst mal muss man vielleicht mal gucken, was für Aufgaben haben Hochschulen überhaupt. Und die eine Aufgabe ist natürlich, wir müssten zeitgemäße und zwar die bestmögliche Lehre anbieten. Das andere Argument hatte ich schon gesagt, es geht darum, dass wir eben auch zukunftssicher ausbilden, und es geht natürlich auch um die Mitgestaltung der Gesellschaft. Denn wer gestaltet überhaupt die Zukunft? Ist das das Silicon Valley, oder wollen wir möglicherweise als Hochschulen und als Gesellschaft da mitreden? Und ich denke mal, wir stehen natürlich unbedingt in der Pflicht, die Zukunft mitzugestalten. Und Digitalisierung ist ein wichtiges Element. Und wir Hochschulen müssen eine Rolle darin spielen, finde ich.
„Kreativität, Kooperation, Kommunikation und kritisches Denken“
Handke: Und bei den Studierenden, was haben die für Mehrwerte von dieser Digitalisierung? Ich meine, einen Mehrwert haben wir gehört, das ist die Lehre selbst. Aber über die Lehre hinaus?
Knutzen: Tja, über die Lehre hinaus ist es eben, dass Sie sich zurechtfinden in dieser Welt. Es gibt ja diese berühmten vier K’s, die man braucht für die Zukunft, das ist Kreativität, Kooperation, Kommunikation und kritisches Denken. Das sind alles Elemente, die wir in den Hochschulen natürlich unbedingt vermitteln sollten und die die Studierenden in Zukunft dringend brauchen werden.
Handke: Kann es sein, dass sich Studierenden sogar die Hochschulen aussuchen im Zeitalter der Digitalisierung, vor dem Hintergrund des Grades der Digitalisierung einer Hochschule?
Knutzen: Stellen wir uns mal vor, wie die Hochschulen in zehn, 15 oder 20 Jahren aussehen und welche Rolle Digitalisierung dabei spielen kann. Wir erleben ja schon in Amerika, dass das große Plattformen wie Edx, wie Coursera und so weiter gibt, die eben auch viele Lehrangebote im Internet machen. Und jetzt ist es nicht unwahrscheinlich, finde ich, dass sich Studierende eben auch über das Internet informieren, was für Lehre kriegen sie an den unterschiedlichen Standorten, was für Lehre können sie vielleicht auch digital schon beziehen und das ergänzen mit Präsenzveranstaltungen an der Universität. Ich könnte mir gut vorstellen, dass Studierende in Zukunft da viel mehr drauf gucken, weil man eben auch drauf gucken kann.
Handke: Louisa Oesterle, stimmt das? Ist das heute schon der Fall? Haben zum Beispiel Studierende der Anglistik der Uni Marburg Studiengänge dort ausgesucht, nur weil dort die Lehre größtenteils digitalisiert ist und man sogar Roboter zu Gesicht bekommt?
Louisa Oesterle: Ich denke schon, dass einige Studierende sich die Uni Marburg gerade deshalb ausgesucht haben. Bei mir war das nicht so der Fall, bei mir waren es andere Gründe. Aber das liegt vor allem auch daran, dass das doch noch nicht ganz so publik ist. Ich denke, die Uni sollte da noch ein bisschen mehr in die Werbung gehen und auch dafür werben, dass sie eben diese digitalisierten Module haben, dass es diese Plattformen gibt, dass Roboter an der Uni eingesetzt werden. Und ich denke, damit kann man schon einige Studienanfänger auch motivieren und anlocken.
Handke: Herr Knutzen, nehmen wir mal folgende Situation an: Das Präsidium oder Rektorat hat eine Entscheidung getroffen, ja, wir wollen unsere Lehre digitalisieren, hat aber noch keine große Erfahrung bei der Umsetzung. Welche Schritte empfehlen Sie ihnen?
Knutzen: Das sind meistens relativ aufwendige Kulturänderungsprozesse an Hochschulen. Deswegen ist es schlau, glaube ich, nicht alle Fehler noch mal zu machen. Mein erster Rat wäre eigentlich, Beratung holen. Es gibt ganz viele Leute in Deutschland, die sich sehr gut auskennen. Das Hochschulforum Digitalisierung, das HFD, bietet solche Beratung auch an. Und Beratung hilft, weil man eben viele Erfahrungen, die es in Deutschland gibt und die es auch international gibt, erst mal reinholen kann. Dann, glaube ich, geht es darum, dass man eine sehr schlaue Strategie hat. Und Strategie ist ja nicht Vision, Strategie heißt ja, man weiß, was man tun will, mit welchen Ressourcen man es tun will, mit welchen Personen, welche Personen man dazu braucht, welche Zeiträume mit welchen Ressourcen notwendig sind. All das gehört zur Strategie. Auch da ist es gut, wenn man sich noch mal ein bisschen Erfahrung dazu holt. Dann glaube ich, das wichtigste Element ist, dass Hochschulen nur dann eine Chance haben, in das digitale Zeitalter zu kommen, wenn das sowohl eine Top-Down-Strategie gibt, also etwas, was von der Hochschulleitung kommt, als auch eine Bottom-up-Bewegung ist. Muss halt auch aus der Studierendenschaft und aus der Professorenschaft Leute geben, die das wollen, die es vorantreiben und Dinge entwickeln.
Handke: Und dazu brauchen wir etwas, was wir schon seit Jahren identifiziert haben, was sich immer noch nicht umgesetzt hat, die erhöhte Wertschätzung für die Lehre. Ich hab ja selber unter diesem Fall gelitten. Seit 1999 mache ich keine linguistische Forschung mehr, sondern meine Forschung ist die Lehre. Das hat mir in der linguistischen Fachcommunity natürlich nur böse Blicke eingebracht, und es hat lange gedauert, bis man über Preise und Akzeptanz dann letztlich – ich mich über die Lehre dann identifizieren konnte. Das kann man aber an den Hochschulen nicht. Was kann man da tun, um diese Lehre mehr wertzuschätzen?
Knutzen: Ich habe den Eindruck, dass sich das in der Hochschuldebatte schon verändert, also dass Lehre einen höheren Stellenwert hat. Weil letztlich die Aufgabe der Hochschule nicht nur in der Forschung, sondern eben auch in der Ausbildung der nächsten Generation sein muss. Und wir in Deutschland sind ein Wissensstandort. Die Ressource, die wir haben, ist das geistige Kapital, dass wir kluge Köpfe haben, die nachdenken können und Deutschland und eben auch viele Weltelemente mit entwickeln und verändern können. Insofern ist es absolut angesagt, dass man Lehre höher gewichtet. Und man muss jetzt eben gucken, dass man nicht nachlässt bei diesen vielen Aktionen, die man macht.